Hat einen das SC-Fieber erst einmal gepackt, so lassen sich mit den Jahren je nach Reiseziel vergangener Ausflüge doch so manche Anekdoten zum Besten geben. Einige mit angenehmeren Erinnerungen, andere wiederum mit eher unerfreulichen Assoziationen. Im Falle der Destination Hamburg dürfte die letzte Dienstreise des Sport-Clubs in die Metropole an der Elbe aber bei allen südbadischen Schlachtenbummlern noch äußerst positiv im Gedächtnis verblieben sein, wurde im Volksparkstadion doch am 19. April 2022 das Ticket für das Pokalfinale gelöst.
Dabei gaben auf Bundesligaebene Abstecher in den Stadtstaat schon des Öfteren weitaus weniger Grund zur Freude. Von bis dato 18 Gastauftritten beim Hamburger Sportverein waren gerade einmal vier Duelle mit dem besseren Ende für Weiß-Rot verbunden. Was also sollte der nächste Besuch im hohen Norden bereithalten? Schenkt man der Statistik Glauben, dann stand der jüngste Ausflug in die zweitgrößte Stadt Deutschlands unter keinen guten Vorzeichen. Denn während die Rothosen seit dem Gang ins Unterhaus 2018 die Rückkehr in die höchste Spielklasse der Republik nicht bewerkstelligen konnten, hat der Stadtrivale vom FC St. Pauli im letzten Jahr das Kunststück Aufstieg vollbracht und darf derzeit seine neunte Saison in der Beletage des deutschen Fußballs absolvieren. In vier der zuvor acht Bundesligaspielzeiten bekamen es die Kiezkicker auch mit dem Sport-Club aus dem schönen Freiburg zu tun, welcher jedoch bei den entsprechenden Auswärtsspielen lediglich zwei Punkteteilungen erringen konnte und ebenso zweimal mit leeren Händen die Heimreise antreten musste. An dieser Stelle soll es das mit dem geschichtlichen Exkurs aber gewesen und die Bedürfnisse aller Nerds für Fakten und Historie dürften gestillt sein. Damit auch alle anderen Leserinnen und Leser auf ihre Kosten kommen, vollziehe ich dann doch mal lieber den Sprung ins Hier und Jetzt.
Samstag, beste Fußballzeit und es geht in eines der wenigen Stadien, die sich mit authentischem Oldschool-Flair erheblich von dem 0815-Arenen-Einheitsbrei abheben. Was will man mehr? Gerade in Bezug auf letzteren Aspekt fieberte man doch dem Kräftemessen mit den braun-weißen Hamburgern mit besonderer Vorfreude entgegen und wollte sich vom berüchtigten Flair des Millerntors selbst überzeugen. Ja, nicht wenigen Nasen aus den eigenen Gruppenreihen – darunter auch meiner schreibenden Wenigkeit – machten schlichtweg noch das Elternhaus bzw. die beschränkten finanziellen Möglichkeiten als Schüler/in einen Strich durch die Rechnung, als der SCF letztmals in der Zweitligaspielzeit 2015/2016 an besagter Spielstätte gastierte, weshalb also der Ground aufm Kiez erst in dieser Saison erstmals gekreuzt werden sollte. Entsprechend wurde in den Morgenstunden motiviert in der ersten ICE-Direktverbindung vom Breisgau aus Platz genommen, mit welcher sich auch der Rest der Szene auf den Weg in die Hansestadt machte. Ohne nennenswerte Verspätungen wurde ebenjene erreicht und so blieb vor dem Stadionbesuch noch Zeit für eine gezapfte Gerstenmahlzeit in einer Kneipe, in welcher bereits die Gruppensektion wartete, die an diesem Spieltag die Fußballtouristen raushängen ließ und den Aufenthalt an der Alster über das gesamte Wochenende ausdehnte. Die letzten Meter gen Stadion wurden schließlich per Fußmarsch absolviert, auf welchem auch schon mal mit dem ein oder anderen Gesang ein erstes Warm-Up der Stimmbänder praktiziert wurde.
Wenig später war es dann so weit und nach Passieren der Einlasstore war es mir vergönnt, das altehrwürdige Millerntor-Stadion von innen zu sehen. Vier eigenständige Tribünen und keine ineinander übergehenden Beton-Kurven à la Parkhaus-Fassade. Die einzelnen Blöcke treten allesamt durch Malereien in den Vereinsfarben und nicht durch überdimensionale Werbebanden in Erscheinung. Einfach ein in die Jahre gekommener Fußballtempel, der einiges mitgemacht, aber den Auswüchsen des modernen Fußballs bis heute überschaubaren Einzug geboten hat. Dass die traditionelle Sportanlage jedoch nicht nur in baulicher bzw. gestalterischer Hinsicht im Kosmos des Profifußballs alles andere als alltäglich ist, sondern auch einen Standort widerspiegelt, an welchem die Symbiose zwischen Fans und Verein (noch) auf besondere Art und Weise gelebt wird, zeigte sich noch bevor das runde Leder ins Rollen kam. Der Stadionsprecher verlas eine bewegende Rede, mit welcher den drei verstorbenen St. Pauli-Anhängern Jan, Andy und Bernd gedacht wurde. Letzterer begleitete seinen Herzensclub zu weit über 1.000 Spielen und die heimische Südkurve würdigte den Allesfahrer mit großem Banner und entzündeter Fackel im Moment des schweigenden Innehaltens. Selbige war es auch, die die Phase der Stille kurz darauf mit einem brachialen und schon auch sehr ergreifenden „St. Pauli“-Schlachtruf beendete, mit welcher die Augenblicke des Gedenkens für mein Empfinden äußerst ehrenvoll zu Ende gingen.
Der Fokus war also voll auf die in den Startlöchern stehende Partie gerichtet, welche im Gästeblock seitens Synthesia mit Rauchtöpfen, Blinkern und großen Schwenkern passend zum Motto „Stand zu Dir schon als Kind – Mit der Fahne im Wind“ eingeläutet wurde. Wer tatsächlich schon von Kindheitstagen an sein Herz an den SC Freiburg verloren hat, der wird in seinem Dasein als Fan schon Zeuge von einigen Freiburger Auswärtsvorstellungen mit bescheidenem Unterhaltungswert geworden sein. Zugegebenermaßen riss einen die Darbietung der gastgebenden „Boys in Brown“ und der in weiß gekleideten Greifträger nur bedingt vom Hocker. Anlass, sich das Treiben auf dem Feld schön zu saufen, ist das jedoch bei Weitem nicht, was auch an den ein oder anderen SC-Anhänger persönlich und in einem schärferen Ton adressiert werden musste. Die Anzahl der Pendler zwischen Verpflegungsständen und Blockinnerem erreichte so ziemlichden Saisonrekord, vom Promillepegel und der Menge an Eventfans ganz zu schweigen. So viel erstmal zur Sachlage außerhalb der grünen Spielwiese. Auf Gleichgenannter bekam der SCF im Anschluss an einen doch eher handelsüblichen Zweikampf im Sechzehner plötzlich einen Elfmeter zugesprochen. Per Chip in die Pranken des Schlussmannes ließ Grifo allerdings die Chance auf den Führungstreffer kurz vor dem Pausenpfiff auf blamable Art und Weise liegen, weshalb in einem Ligaspiel nun schon der sechste Freiburger Strafstoß in Folge vergeben wurde und die 15-minütige Unterbrechung doch von einer guten Portion Ernüchterung durchzogen war. Mit Wiederbeginn blieb nichts anderes übrig, als diese abzuschütteln und aus dem Frust heraus die Drehzahl am Lautstärkeregler nochmal zu erhöhen, was dem mitgereisten Anhang aus meiner Sicht durchaus gelang. Mit dem Fortschreiten der Minuten auf der Anzeigetafel ließ mich dann der Glaube an ein spätes Erfolgserlebnis einfach nicht los und tatsächlich sollte wenige Augenblicke vor Ende das Spielgerät bei einer weiß-roten Angriffsbemühung– wenn auch über Umwege – die gegnerische Torlinie überqueren. Der frühere Amas-Kapitän Treu lenkte eine Hereingabe Günters unhaltbar in die Maschen ab, woraufhin im Gästeblock für mein Dafürhalten der bis dato ausgelassenste Torjubel der laufenden Runde ausbrach. Freudetrunken im Rausch der Kurve bekam ich von den Schlussminuten auf dem Platz nicht mehr allzu viel mit, was angesichts der Tatsache, dass kurz darauf der dritte 1:0-Arbeitssieg in Folge zu Buche stand, zu verkraften war.
Mit Verlassen des Stadions bestand im Kreise der Gruppe zweifelsfrei Einigkeit darüber, dass die im Verlaufe des zurückliegenden Nachmittages erlebten Emotionen genau das sind, wofür man den geliebten Sport-Club Freiburg Woche für Woche Jahr für Jahr kilometerweit begleitet. Insofern konnte auch der langen Rückreise entspannt entgegengesehen werden, zu Beginn welcher man sich zunächst mit osmanischen Köstlichkeiten des Bahnhofs-Döners stärkte. Die weiteren Stunden waren von gemütlichem Plausch durchzogen, erhielten jedoch mit der Zeit einen kompetitiven Charakter beim Kronkorken-Zielwerfen, welches manchem Spielekind wohl noch eine schlaflose Nacht bereitete. Ansonsten verlief die Tour ohne besondere Vorkommnisse, wäre da nicht der Fakt, dass eine ICE-Fahrt im Verbund der Szene wieder einmal nicht wie ursprünglich geplant über die Bühne gehen konnte und wir in Mannheim strandeten. Aber Entwarnung: Die vorzeitige Endstation war keine plötzliche Hiobsbotschaft, sondern der einige Tage vor dem Spiel bekanntgewordenen vorgezogenen Abfahrt der eigentlichen Rückverbindung geschuldet. Am Rande sei erwähnt, dass darum eine ganze Dreiviertelstunde verfrüht und daher ohne uns von Hamburg aus startende Zug dennoch zur unveränderten Uhrzeit in Freiburg eintrudeln sollte. Deutsche Bahn at its best! Immerhin konnten rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden und so warteten bereits die Busse des Reiseunternehmens unseres Vertrauens auf dem kurpfälzischen Bahnhofsvorplatz, mit welchen wir die letzten Kilometer in südlicher Richtung hinter uns brachten. Vielleicht dürfen wir uns ja eines Tages tatsächlich an der Premiere erfreuen, bei welcher die An- und Abreise über die Schienen ohne Zwischenfälle erfolgt. Ein erstes Mal gibt es bekanntlich immer, wie man es jüngst beim ersten Triumph in der Bundesliga am Hamburger Millerntor selbst erlebt hat!
Daten & Fakten:
Begegnung: Fußball-Club St. Pauli von 1910 e.V. – Sport-Club Freiburg e.V. 0:1 (0:0)
Wettbewerb: Bundesliga – 22. Spieltag
Wann und Wo: Samstag, 15. Februar 2025, Millerntorstadion Hamburg
Zuschauerzahl: 29.546, davon etwa 3.000 SC-Fans
Den Greif auf der Brust trugen: Atubolu – Sildillia, Ginter, Lienhart, Günter – Eggestein, Osterhage – Doan (90+2. Rosenfelder), Röhl (75. Dinkci), Grifo (75. Beste) – Höler
Tore: 0:1 Treu (88., Eigentor)