Alles hat ein Ende und somit auch die Spielzeit 2023/2024. Ist der jährliche Schlusspunkt einer langen Saison nicht ohnehin schon immer speziell, so warf an jenem 18. Mai 2024 ein fast schon historischer Wermutstropfen seine Schatten voraus. Zum (vorerst) letzten Mal sollte Christian Streich seinen gewohnten Platz als Trainer des SC Freiburg an der Seitenlinie einnehmen und so stand uns mit der längsten aller aktuellen Bundesliga-Auswärtsreisen zu Union Berlin eine ganz besondere bevor.

Besondere Rahmenbedingungen waren jedoch nicht nur aufgrund der Eigenheiten der letzten 90 Saisonminuten und dem Abschied des Trainers geschaffen. Auch Co-Trainer Patrick Baier, welcher zwar eher im Hintergrund agierte, aber ebenso seit den 90er-Jahren als SC-Übungsleiter aktiv war, legte sein Amt zum Saisonende nieder. Keine Frage also, dass die Abgänge in Person von Baier nach 25-jähriger und Streich nach 29-jähriger Tätigkeit im Verein große Lücken hinterlassen werden. Dass die beiden Herren jedoch nicht nur extrem lange, sondern auch überaus erfolgreich Teil des Sport-Club Trainerteams waren, ließ sich exemplarisch an der Ausgangssituation des diesjährigen 34. Spieltages erkennen. Denn zum dritten Mal in Folge bestand aus Freiburger Sicht die Chance zum Abschluss einer Bundesliga-Spielzeit mit einem Triumph auf fremdem Geläuf und Schützenhilfe aus einem Parallelspiel einen Platz in der Tabelle gut zu machen, um somit auch im darauffolgenden Jahr wieder definitiv internationale Reiseziele ins Visier nehmen zu können. Zwar musste dieses Mal damit vorliebgenommen werden, dass „nur“ die Europa League das Höchste der Gefühle werden könnte, dafür reichte immerhin bereits ein Unentschieden, um Rang 8 zu behaupten, welcher – inzwischen offiziell – die Teilnahme an den Playoffs zur Conference League bedeutete. An Motivation mangelte es jedenfalls im Vorfeld der Reise in die Hauptstadt nicht. Diese sollte über die Schienen absolviert werden, was sich (wer hätte es geahnt) wieder einmal als gewagt herausstellte. Die ursprünglich gebuchte Verbindung wurde bereits knapp einen Monat vor dem Spiel gestrichen und so musste schon mit Abfahrt des Alternativ-Zuges in Freiburg gezittert werden, dass der Hinweg ohne Verzögerungen über die Bühne ging. Das Zeitpuffer existierte nämlich quasi nicht mehr. Letztlich ließ sich aber die Deutsche Bahn ausnahmsweise nichts zu Schulden kommen, weshalb gegen etwa 15:00 Uhr und somit noch rechtzeitig der Gästeblock am Stadion an der Alten Försterei betreten wurde.

Hatte man ein Jahr zuvor noch gegenüber den hier beheimateten „Eisernen“ von Union Berlin knapp das Nachsehen im Rennen um die Champions League, fanden sich die Köpenicker zum Saisonfinale 23/24 auf dem Relegationsplatz wieder. Dabei war klar, dass aus Sicht des DDR-Pokalsiegers von 1968 drei Punkte sowie passende Ergebnisse aus anderen Stadien von Nöten waren, um diesen noch nach oben zu verlassen. Entsprechend prangerte schon vor Anpfiff die Parole „Mit aller Gewalt – Klassenerhalt“ an der Gegengerade und zu Spielbeginn ließ auch die Heimkurve die Botschaft „Union gibt niemals auf“ umrahmt von einigen Fackeln und Rauchtöpfen verlautbaren. Eine ansehnliche Szenerie, was man von dem Duell auf dem Rasen zunächst nicht wirklich behaupten konnte. Insbesondere den Gastgebern war der Druck anzumerken, dem sich diese in Minute 38 aus elf Metern ein Stück weit entledigen konnten. Doch Atubolu entschärfte den per Videobeweis gegebenen Strafstoß glänzend, weswegen es torlos in die Pause ging. Nach dem Seitenwechsel nahm ich persönlich den Sport-Club als die aktivere Mannschaft wahr, allerdings glückte Mitte der zweiten Halbzeit der Gegenseite der Führungstreffer, welcher sich nicht unbedingt abgezeichnet hatte. Union war damit gerettet und unser Europapokalplatz futsch. Aber die Greifträger stemmten sich dem Rückstand entgegen und auch der mitgereiste Gästeanhang, der nach meinem Empfinden einen soliden, aber sicher keinen berauschenden Auftritt an den Tag legte, wollte und konnte sich steigern. Fünf Minuten vor Ende der regulären Spielzeit fand dann eine von vielen Grifo-Hereingaben tatsächlich den hereinstürmenden Doan, welcher per Kopf für den Ausgleich und einen ausgelassen emotionalen Torjubel im Gästeblock sorgte. Position 8 im Gesamttableau war wieder die Unsere und das Liebäugeln mit der Conference League nahm allmählich doch Formen an. Die Ekstase war jedoch nur von kurzer Dauer, denn in der Nachspielzeit zeigte der Schiedsrichter erneut auf den Punkt im SC-Sechzehner. Eggestein hatte wohl schon Vorfreude auf die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele und riss einen Gegenspieler in Ringermanier zu Boden, weswegen auch der lästige Keller aus Köln kein zweites Mal bemüht werden musste. Der zweite Schütze der Hausherren wählte ebenfalls die von sich aus rechte Ecke und Atubolu konnte ein weiteres Mal parieren. Aber der Freudenschrei sollte den Lippen nicht entweichen. Das Spielgerät prallte vom Pfosten zurück und unglücklicherweise genau vor die Füße von Haberer, der seit 2022 nicht mehr den Freiburger Dress, sondern die Farben der Ost-Berliner trägt. So musste man sich letztlich doch mit 2:1 geschlagen geben und Träumereien von weiteren internationalen Abenteuern begraben, was in den ersten Minuten nach Abpfiff nicht gerade leichtfiel. Keine Frage, die dritte Europapokalteilnahme in Serie hatten die weiß-roten Kicker vor allem aufgrund der mageren Punktausbeute aus den zurückliegenden Heimspielen verspielt und doch überwog zunächst die Enttäuschung darüber, dass man über Monate mit in der Verlosung war und sich nun doch mit einer Niete abfinden musste.

Aber der Sport-Club Freiburg ist nun mal ein Verein, der sich eben nicht nur rein über das sportliche Abschneiden definiert oder sich an irgendwelchen Erwartungshaltungen misst. Und durch wen, wenn nicht den scheidenden Trainer, könnten diese Eigenschaften besser personifiziert werden? Insofern wich dann doch der Frust der Würdigung, die sich die Person und Vereinslegende Christian Streich verdient hatte. Kann ich mich doch noch allzu gut erinnern, als der Sport-Club in der Winterpause der Saison 2011/2012 mehr oder weniger abgeschlagen das Tabellenschlusslicht bildete und der damalige Assistenzcoach das Ruder übernahm. Bereits im ersten Rückrundenspiel setzte dieser auf den Abiturienten Matthias Ginter als Joker, welcher kurz vor Schluss den Sieg gegen Augsburg im Dreisamstadion eintütete. Was folgte, ist bestens bekannt: Von Klassenerhalten, die immer wieder hart erkämpft werden mussten, über einen dramatisch bitteren Abstieg 2015 mit der postwendenden Zweitligameisterschaft im Folgejahr bis hin zu Achtelfinals in der Europa-League und der Endspielteilnahme im nationalen Pokal. All dies unter der Führung Streichs, welcher über seine gesamte Amtszeit hinweg unantastbar war und dabei doch stets gebetsmühlenartig die Leistungen des gesamten Trainergespanns in den Vordergrund stellte. Der Trainer, der sich am Spielfeldrand von nachdenklich-kritisch bis oft auch impulsiv-unkontrolliert gab und darüber hinaus einen guten Blick auf bzw. Kommentar für Geschehnisse außerhalb der grünen Spielwiese hatte, wird fehlen. Sicherlich nicht, weil er die erfolgreichste Ära in der Geschichte des SCF prägte. Vielmehr weil er trotz der Schnelllebigkeit des Fußballgeschäfts und des rasanten Wachstums im Umfeld des Sport-Clubs in der jüngeren Vergangenheit immer bei sich und den Grundpfeilern dieses Vereins geblieben ist. Für Authentizität und Bodenständigkeit stand der Germanistik-, Sport- und Geschichtslehrer zweifelsohne wie kein Zweiter und ganz egal, wie viel Kraft die Spielzeiten mit zuletzt aufeinanderfolgend drei Wettbewerben auch kosteten: Woher man als Sport-Club Freiburg e.V. kommt, vergaß Streich, während er die SC-Profis in insgesamt 489 Pflichtspielen anleitete, nie. Allein im letzten seiner zwölfeinhalb Jahre als Trainer waren es 46 Partien – eine beachtliche Zahl, welche nur im Vorjahr um eine einzige Begegnung überboten wurde. Sphären, in denen man sich in 2024/2025 zwar nicht bewegen wird und dennoch bleibt festzuhalten, dass trotz des unglücklich verlaufenen Endspurts auf der Zielgeraden wieder einmal kein einziger Blick in Richtung des Tabellenkellers geworfen werden musste. Demnach konnte es dann auch in puncto Saisonfazit keine zwei Meinungen geben. Ein weiteres Mal durften wir eine Spielzeit erleben, die unser geliebter SC unter den geschilderten Bedingungen mehr als souverän absolvierte. Danke dafür und für all das, was in diesem und all den Jahren dem Verdienst von Christian Streich anzurechnen ist.

Mach’s gut Trainer und bleibe dir sowie dem Sport-Club auf ewig treu!

Daten & Fakten:

Begegnung: 1.FC Union Berlin e.V. – Sport-Club Freiburg e.V. 2:1 (0:0)
Wettbewerb: Bundesliga – 34. Spieltag
Wann und Wo: Samstag, 18. Mai 2024, Stadion an der Alten Försterei, Berlin
Zuschauerzahl: 22.012, davon etwa 2.500 SC-Fans
Den Greif auf der Brust trugen: Atubolu – Kübler, Keitel, Makengo, Günter (59. Weißhaupt) – Doan, Eggestein, Höfler (82. Muslija), Grifo – Sallai (77. Philipp), Höler (59. Gregoritsch)
Tore: 1:0 Hollerbach (68.), 1:1 Doan (85.), 2:1 Haberer (90+2.)