Nach Manchester ins Old Trafford, ein Trip in die italienische Hauptstadt oder doch zum schwedischen Meister aus Malmö. Als es tatsächlich ernst und endlich die Kugel mit dem Sport-Club Freiburg gezogen wurde, lauteten die Gegner Olympiakos Piräus und Qarabağ Ağdam. Ich bin ehrlich: Während über Wochen der Auslosung entgegengefiebert wurde, orientierten sich meine präferierten Reiseziele ganz klar an den eingangs erwähnten Beispielen und so gingen meine Mundwinkel bei den diesjährigen Europapokalvertretern aus Griechenland und Aserbaidschan im ersten Moment doch eindeutig nach unten. Letztlich wurde auch aus Lostopf 4 mit HJK Helsinki der persönliche Wunsch einer Reise nach Skandinavien nicht erfüllt. Stattdessen machte sich mit Trabzonspor die vollständige Sprachlosigkeit breit. Für einen Besuch der drei Spiele hätte mal so eben eine Strecke von einer fünfstelligen Anzahl an Luftlinienkilometern zurückgelegt werden müssen, von den Konsequenzen für den jeweiligen Geldbeutel ganz zu schweigen. Dass diese Szenarien bewusst in der zweiten Form des Konjunktivs formuliert werden können und man sich mit diesen nicht näher auseinandersetzen musste, war glücklicherweise binnen weniger Sekunden klar. Der UEFA-Algorithmus ließ den Titelverteidiger der türkischen Meisterschaft nicht zu Gruppe G hinzustoßen, welche letztlich vom FC Nantes aus Westfrankreich komplettiert wurde.
Ein Los, welches zunächst nicht sonderlich der anfänglichen Verdrossenheit des Autors dieser Zeilen gegenüber der nun feststehenden Gruppe entgegenwirkte. Je mehr Zeit danach jedoch verstrich, desto mehr ließ sich aber nach und nach doch eine gewisse Erleichterung hinsichtlich der Tatsache verzeichnen, dass wenigstens eines der drei Vorrundenspiele nicht mit dem Flugzeug angesteuert werden musste. Wie sich nur wenige Stunden später herausstellen sollte, befand sich der Rest der Gruppe am Treffpunkt für das noch am selben Tag steigende Heimspiel gegen Bochum in ähnlicher Gemütslage. Bei ersten vorläufigen Planungen zeichnete sich die Anreise in das Département Loire-Atlantique per Bus früh als die sinnvollste Variante ab. Als in den Morgenstunden des darauffolgenden Samstages die zeitgenaue Partie-Ansetzung veröffentlicht wurde, konnten schließlich die Planungen finalisiert werden und so hieß es anlässlich des vierten Gruppenspiels: Bon Voyage à Nantes!
Rund 900 km später, die man über Nacht in gut 12 Stunden Fahrt zurücklegte, erreichte man am späten Vormittag besagtes Ziel. Hier wurde sich zunächst in einem Café unweit des ausgerufenen Treffpunkts niedergelassen, in welchem sich auch schon die anderen aktiven Gruppen die ersten Gerstengebräue aus französischen Hähnen genehmigten. Und während also bei einem, sagen wir, geschmacklich ausbaufähigen Umtrunk angestoßen wurde, musste zugleich konsterniert festgestellt werden, dass der Wetterfrosch mit der Regenvorhersage Recht behalten sollte. Ein Glück hatte man die Europapokal-Regenjacken mit im Bus transportiert und konnte sich diese somit direkt überstreifen. Wenig später standen beide Uhrzeiger auch schon fast auf zwölf Uhr mittags, was uns in Richtung des als Treffpunkt auserkorenen Place du Bouffay aufbrechen ließ. Mit dem ein oder anderen Gesang wurde auf dem kurzweiligen Fußmarsch auch jenen Bürgerinnen und Bürgern aus Nantes, die uns bislang noch nicht erspäht hatten, lautstark angekündigt, dass der Sport-Club aus Freiburg nun auch in ihrer Stadt angekommen ist.
Ankommen ist ein gutes Stichwort. Denn tatsächlich trudelten auch sämtliche weitere SC-Fans sehr zeitnah auf oben genanntem Platz ein und die Vorfreude auf das zweite Euroleague-Auswärtsspiel kam so langsam, aber sicher in die Gänge. Einzig die nach wie vor nasse Wetterlage, welche zwar durch eine hohe Nachfrage an Regenjacken ein weitestgehend einheitliches Bild der Anwesenden begünstigte, nervte allmählich schon und manch einer wünschte sich dann doch wieder den Spätsommer unter der Sonne Athens zurück. Tja, was willste‘ machen?
Alsbald meldete sich dann auch der Hunger und es bedurfte einer vernünftigen Mahlzeit als Stärkung. Hierbei muss erwähnt werden, dass sich die Auswahl an hierfür in Frage kommenden Lokalitäten überraschenderweise in Grenzen hielt. Dies lag jedoch nicht an den Essensmöglichkeiten als solche, sondern vielmehr daran, dass an diesem Donnerstag vereinzelte Gaststätten – aus welchen Gründen auch immer – verschlossen blieben. Aber dazu später nochmal mehr. Wie mir zu Ohren kam, zog es der Einfachheit halber viele in die Räumlichkeiten international bekannter Fast-Food-Restaurants, wo hingegen andere tatsächlich die typisch einheimische Küche wählten. Für mich sprang letztlich ein preislich mehr als fairer Imbiss im Kebap-Laden heraus. Weiterhin stets darauf bedacht, den noch immer anhaltenden Schauern möglichst aus dem Weg zu gehen, verbrachte man weite Teile des Nachmittages bei Plausch und Hopfenhaltigem unter umstehenden Regenschirmen. Da an manchen Ecken in unmittelbarer Treffpunktnähe, wie bereits erwähnt, bewusst auf die Beherbergung zahlfreudiger Gäste verzichtet wurde, blieb die Auswahl für den Konsum von etwas Trinkbarem in Innenräumen überschaubar. Mehr als unverständlich, aber gut.
Was auf der einen Seite alles anderes als nachvollziehbar war, ließ die Umsätze auf der anderen Seite steigen. So entdeckten mehrere Schlachtenbummler eine beschauliche Eckkneipe für sich, welche sich nach und nach zu einer Anlaufstelle für viele weitere Südbadener entwickelte, die nach dem Ausharren im Regen gerne auch mal wieder im Trockenen zugegen sein wollten. Nachdem feststand, dass zum Gelangen ans Stadion die Wahl auf Straßenbahnen und der ursprünglich geplante Marsch wortwörtlich ins Wasser fiel, durfte sich hier letztlich sogar noch etwas länger aufgehalten werden. Angesichts der musikalischen Unterhaltung, die inzwischen maßgeblich von den Barinsassen gestaltet wurde, kam teilweise richtiges Busfahrtfeeling auf und wenn es wohl nicht rechtzeitig in Richtung der Heimstätte des zum damaligen Zeitpunkt Vorletzten der französischen Ligue 1 gegangen wäre, wäre man womöglich gar nicht mehr in den Spieltagsmodus gekommen.
Doch so weit kam es selbstverständlich nicht. Allesamt in weißen Regenjacken bekleidet, wurden die Stimmbänder mehrerer Hundert Freiburger auf den letzten Metern von der Straßenbahnhaltestelle bis zum Stade Louis-Fonteneau schon mal gebührend aufgewärmt und es machte sich gute Stimmung breit. Diese erlebte jedoch mit Ankunft auf dem Vorplatz des genannten Stadions zunächst einen Dämpfer. Bereits vorab war bekannt, dass die Gegebenheiten für Gästefans in der Sportanlage, welche unter einheimischen Anhängern auch den Namen „La Beaujoire“ trägt, mit insbesondere teils miserabler Sicht auf das Feld nicht gerade ansprechend sind. Auf der Fläche vor den Eingängen wurde jedoch der Eindruck erweckt, als hätte man an diesem Standort wirklich kaum etwas für die Leute übrig, die ihr Herz nun mal nicht an den FC Nantes verloren haben. Der Untergrund bestand zu großen Teilen aus Sand, der bei den vorliegenden Wetterverhältnissen einer einzigen Schlammmasse gewichen war und schon beim Betrachten des recht schmalen Korridors vor den Treppenaufgängen war klar, dass man hier gar nicht auf das Empfangen von einer Anhängerschaft, welche weit über den Durchschnittszahlen von französischen Auswärtsfahrern liegt, ausgerichtet ist. Nachdem sowohl der Geduldsfaden als auch das Schuhwerk auf eine harte Probe gestellt wurden, gab es kurz vor Passieren der Stadiontore immerhin noch etwas zu schmunzeln. Hier stand man nun Ordnungskräften gegenüber, deren Bekleidungsaufdrucke diese als Polizisten auswiesen. Die blauen Trainingspullis, die ihre besten Tage bereits hinter sich hatten, ließen jedoch eher vermuten, dass es sich um ein älteres Semester von Balljungen handelte. Der Freund und Helfer macht sich also auch nicht nur bei uns gerne mal zur Witzfigur.
Nun aber genug jetzt von den Ereignissen in Stadionumlauf und Co. Schließlich war man ja wegen dem, was die Greif tragenden Kicker auf dem Rasen so treiben und wegen nichts anderem angereist. Bis hierhin wussten diese in jedem Spiel auf internationalem Parkett zu überzeugen und konnten auch mit einem 2:0-Erfolg im Hinspiel gegen die Kontrahenten aus dem Nachbarland die Tabellenführung untermauern. Doch um die sogenannten Kanarienvögel ist es bei Weitem nicht so schlecht bestellt, wie dies die jüngsten Ergebnisse einen hätten glauben lassen können. Immerhin ist hier die Rede vom amtierenden französischen Pokalsieger, dessen Auftritte vor heimischer Kulisse sich gerne mal in einen Hexenkessel verwandeln können. Tatsächlich wirkte die Heimkurve auch gut motiviert und heizte sich vor Anpfiff mit der ein oder anderen Gesangseinlage ordentlich ein. Zum Einlaufen der Mannschaften gab es dann auf beiden Seiten eine schicke Pyro-Einlage zu verzeichnen und so war alles für einen perfekten Europapokalabend angerichtet.
Dieser wäre jedoch beinahe früh getrübt worden, als das runde Leder in der Anfangsphase gleich zweimal Bekanntschaft mit Freiburger Aluminium machte. Jene, die ein ausgeglichenes und umkämpftes Duell erwartet hatten, fühlten sich augenscheinlich bestätigt, da stellte der SCF quasi aus dem Nichts auf 0:1. Ein kompromissloser Strahl von Kübler war die erste rot-weiße Offensivaktion und sollte auch zur Pausenführung reichen. Der zweite Abschnitt setzte sich zunächst unverändert fort. Die Gastgeber steckten nicht auf, stellten jedoch Flekken kaum vor größere Probleme. Ausruhen auf dem knappen Vorsprung war aber auch bei unseren Jungs nicht angesagt, die mittlerweile mehr für das Spiel taten. Genau in einer Drangphase des Gegners wurde dann nach 71 Minuten der zweite Treffer in Person von Gregoritsch markiert. Eine kleine Vorentscheidung muss man sagen, denn „Les Canaris“ brachten nun nicht mehr viel zustande. In den Schlussminuten erhöhten dann Schade und Jeong auf 0:3 und schließlich auf das Endergebnis von 0:4. Ein Resultat, welches am Ende des Tages fairerweise zu hoch ausfiel und die Spielanteile ein Stück weit auf den Kopf stellten. Den Mitgereisten sollte dieser Umstand angesichts der Tatsache, dass dem Sport-Club das Überwintern in der Euroleague nach nun maximaler Punkteausbeute aus vier Gruppenmatches nicht mehr zu nehmen war, egal sein. Doch nicht nur mit dem Ausgang der Partie und dem vorzeitigen Einzug in die Zwischenrunde durfte man hoch zufrieden sein. Über die vollen 90 Minuten konnte die Stimmung auf einem Level gehalten werden, welches dem klaren Erfolg auf dem Platz mehr als angemessen war. Schade, dass man diese Sphären im Ligaalltag nur selten erreicht. Aber gut, wenn etwas Anlass zur Anerkennung gibt, dann darf gerne auch mal gelobt werden. Dies schienen einige Franzosen genauso zu sehen und würdigten die Vorstellung des Gästeblocks mit wertschätzendem Applaus beim Verlassen des Stadions. Joa, man traf auch schon mal auf unsympathischere Nasen abseits des Platzes.
Auf dem Platz selbst begann nach Abschluss der Feierlichkeiten mit den Spielern abermals eine Blocksperre, die man aus Piräus bereits kannte. Und während man sich noch überlegte, mit welchem kreativen Liedgut das Verweilen bestmöglich überbrückt werden konnte, war die Blocksperre schlagartig aufgehoben, da die örtlichen Staatsdiener doch lieber etwas zügiger die Reisebusse der aktiven Gruppen aus Ihrem Zuständigkeitsbereich befördert haben wollten. Ein Vorhaben, welches in seiner Umsetzung wohl nicht ganz zu Ende gedacht wurde. Denn, wie konnte es auch anders sein, pilgerten natürlich auch alle weiteren Fans unabhängig davon welches Mittel zur Anreise gewählt wurde aus dem Rund, was dazu führte, dass auf dessen Vorplatz aufgrund der Menschenansammlungen kein Durchkommen für unsere Busse war. Mit Wiederankunft im Trockenen und den ersten Siegerbieren in den Kehlen konnte die Wartezeit aber gerade so verkraftet werden. Irgendwann hatte uns dann auch das Blaulichtkomitee auf die Autobahn begleitet und seine Mission somit doch noch erfolgreich abgeschlossen und während schon über etwaige Gegner in der kommenden Runde spekuliert wurde, kristallisierte sich langsam heraus, dass an der Loire doch ein äußerst denkwürdiger Triumph eingefahren wurde. Manchmal mag man gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommen, aber die geerdete und nachhaltige Arbeit unseres Vereins trägt nach kontinuierlich aufeinanderfolgenden Bundesligasaisons fernab von jeglichen Abstiegssorgen nun sogar in internationalen Wettbewerben Früchte. Mit dem Erfolg in Nantes wurde nicht nur das Ticket für die K.o.-Runde gelöst. Nein, mit zwölf Punkten und einem Torverhältnis von 11:1 Toren stellte der Sport-Club aus dem beschaulichen Freiburg tatsächlich zu diesem Zeitpunkt das erfolgreichste Team von allen 32 teilnehmenden Mannschaften dar.
„Und wenn Du gut drauf bist, dann machst Du alle platt!“ lautet eine Passage aus der Hymne, welche den SC Freiburg und all seine Besonderheiten wohl mit Abstand am besten beschreibt. Ein Abend wie jener Mitte Oktober 2022 unterstreicht einmal mehr, dass das mit Recht und Stolz verlautbart werden kann. Es lebe der Sport-Club Freiburg e.V.!