129 Tage waren seit dem besiegelten Gruppensieg nach dem Heimspiel gegen Piräus vergangen bis endlich ein Achtelfinalgegner für unseren unschlagbaren Sport-Club Freiburg per Losverfahren ermittelt werden konnte. Grund für das lange Warten und die darauffolgende kurze Planungszeit von knapp 2 Wochen bis zum Auswärtsspiel ist die unnötige Zwischenrunde, die die UEFA zur Saison 2020/2021 beim Blick auf den fast leeren Spielplan und die klammen Kassen ins Leben gerufen hat. So werden Zweitplatzierte in den Gruppen der Europa League um den Lohn des direkten Weiterkommens gebracht und die großen Clubs, die es in der Königsklasse schlichtweg verkackt haben, bekommen über ein zusätzliches Spiel, welches einzig und allein der TV-Vermarktung dient, einen Wettbewerb tiefer eben die nächste Chance. Einer dieser Profiteure hieß Juventus Turin.
Mit drei Punkten aus sechs Gruppenspielen in der Champions League und einem Sieg gegen unseren Gruppengegner aus Nantes in besagter Zwischenrunde konnte sich die „Juventini“ also für das zweimalige Kräftemessen mit dem SCF qualifizieren. Mit der alten Dame aus Turin wurde es schlussendlich, neben Manchester United, wohl auch der größte Name im Topf. So waren die stundenlangen Flugplanungen am Morgen vor der Auslosung für die Katz, denn gleich war klar, dass Norditalien natürlich mit dem Bus angesteuert wird. Für mich im ersten Moment nicht gerade ein Wunschlos, was sich in den darauffolgenden Tagen noch bestätigen sollte. Einziger Vorteil: Man sparte im Gegensatz zu den anderen möglichen Reisezielen die ein oder anderen Moneten und einen eventuellen weiteren Urlaubstag für eine vorzeitige Anreise. Je näher das Spiel rückte, desto mehr zeigte sich, dass die Ticketnachfrage das Kontingent von knapp 2.500 Karten deutlich überschreiten wird. Von bis zu 28.000 Anfragen war die Rede. Selbst diejenigen, die sich über eine Juve-Light Mitgliedschaft im Heimbereich mit Karten eindecken konnten, wurden wenige Tage vor dem Spiel enttäuscht. Juve stornierte sämtliche Tickets und änderte kurzerhand die eigenen AGBs – was natürlich eben mal so im Handumdrehen gemacht werden, klar. Lediglich die dann nicht mehr benötigte Mitgliedschaft blieb dankenswerterweise bestehen. Nachdem es aber mit nicht wenig Aufwand gelang alle unsere Businsassen mit Tickets für den Gästesektor zu versorgen, rollte das Reisemobil pünktlich zu Mitternacht am Donnerstag los.
Wie bestens gewohnt ging es erstmal auf die A5 mit dem kleinen, aber entscheidenden Unterschied, dass die Reise eben Richtung Süden startete und nicht so endete. Während in den ersten Stunden noch munter die ersten Getränke vernichtet wurden, gingen spätestens gegen fünf die meisten Lichter aus, um noch etwas Kraft zu tanken. Gegen halb 9 am Morgen endete die Fahrt dann etwas weiter nördlicher als die erste internationale SC-Reise, die unseren Verein an Ostern 1914 zu Freundschaftsspielen nach Alessandria und bis nach Genua an die ligurische Küste führte. Dass Touren durch Europa mit Weiß und Rot selbstverständlich auch im Hier und Jetzt etwas ganz Besonderes sind, wurde nochmals deutlich, als auf dem Fußmarsch in Richtung des ausgerufenen Treffpunkts noch ein kurzer Zwischenhalt am Mannschaftshotel eingelegt wurde, um unseren Jungs kurz vor Abfahrt zum Anschwitzen lautstark eine letzte Motivationsspritze mitzugeben. Wenig später erreichte man den weitläufigen Parco del Valentino und bei sonnigen 18° blieb dann genügend Zeit, um sich auf den Abend einzustimmen. Sei es mit einem kalten Aperol in einer Bar direkt am Ufer des Pos, einer leckeren Pizza in den umliegenden Straßen oder einer Runde Fußball auf der Wiese. Ein gemütlicher Nachmittag neigte sich allmählich dem Ende entgegen und so sollten bereitgestellte Shuttlebusse alle die sich am Treffpunkt eingefundenen Freiburgerinnen und Freiburger zum Stadion befördern. Die Transportmittel standen allerdings erst gut eine Stunde später als ursprünglich kommuniziert bereit und auch die Abfahrt dieser ließ dann auch noch ein Weilchen auf sich warten, bevor man sich auf die gut 20-minütige Fahrt durchs Turiner Stadtgebiet begab.
Seit Tagen war bekannt, dass man sich bei den Einlasskontrollen auf einiges einstellen müsste und am Stadion angekommen, wirkte es dann zunächst nicht so, als würde man darauf warten ein Fußballspiel besuchen zu dürfen. Mit teils kleinlichstem Abgleich der Personalien und dem so gut wie ausnahmslosen Ausziehen des Schuhwerks aller anwesenden Fans wurde aber wirklich alles übertroffen, was man jemals vor einem Stadiontor mitmachen musste und der Auftritt des aserbaidschanischen Militärs beim Spiel in Baku erschien fast schon wie ein Witz dagegen. Ja, staatliche Repression ist nun mal eben auch bedauerlicherweise innerhalb der EU an der Tagesordnung. Die Eingänge konnte man endlich hinter sich lassen und doch wurde jegliche Vorfreude auf eines der denkwürdigsten Spiele der Vereinsgeschichte sofort wieder im Keim erstickt. Das Innere der Heimstätte des italienischen Rekordmeisters glich einer Disco und man hätte im Nachhinein froh sein können, wenn man noch etwas länger hätte draußen warten müssen. Zwei DJs und eine durchgehende Lichtshow dominierten die erste Stunde, bis die Mannschaften zum Warmmachen das Feld betraten. Bei allen Auflagen und Verboten gab es im Gästeblock aber auch noch etwas Positives zu erwähnen. Dank einem nur etwa 120 cm hohen Plexiglaszaun zum Spielfeld hin konnte das Spielgeschehen auch in den vordersten Reihen mit nahezu freier Sicht verfolgt werden. Hier können sich sogar Konstrukteure deutscher Stadien etwas abschauen. An jenem Zaun sollte auch ein Fetzen unserer Gruppe angebracht werden. Aus Solidarität zu den Betroffenen der Ticketstornierungen jedoch verkehrtherum. Die Zeit bis zum Anpfiff verging dann doch recht fix und mit den ersten Liedern war schnell klar, dass heute stimmungstechnisch ein Sahneauftritt zu erwarten sein dürfte. Auch zeigte sich, dass es doch einige Personen aus Südbaden noch auf die Heimseite geschafft haben. Durch unmittelbare Kartenbuchung kurz vor dem Passieren der Drehkreuze war dies wohl doch relativ problemlos möglich. Immerhin.
Während unsere Kicker auf dem Rasen von Beginn an defensiv gefordert waren und im ersten Durchgang sämtliche Angriffsversuche der Gastgeber erfolgreich entschärften, blieb die aus der Gästeecke ertönende Lautstärke durchgängig enorm hoch. Fazit zur Pause: Mit den Leistungen auf und neben dem Platz durfte man hochzufrieden sein und es erschien nicht ganz abwegig sogar etwas Zählbares mitnehmen zu können. Den Dämpfer gab es dann aber kurz nach Wiederbeginn, als di Maria per Kopf zum 1:0 traf. Doch Lucas Höler hatte gut zehn Minuten später eine Antwort parat. Sein Treffer zum vermeintlichen Ausgleich sorgte für einen der brachialsten Torjubel, den ich persönlich jemals auswärts mit dem Sport-Club erlebt habe. Der Stolz auf diesen einzigartigen Verein, der bei allen Gesängen in jeder einzelnen der mitgereisten Kehlen von der ersten Sekunde an zu vernehmen war, entlud sich in diesem Moment in grenzenlose Ekstase und so lag man sich gefühlt einmal im gesamten Block in den unterschiedlichsten Armen. An sich echt verwunderlich, dass es in dieser Szenerie keine Verletzten zu verzeichnen gab. Doch durch einen Eingriff des VAR sollte bei der Freiburger Torausbeute die Null stehen bleiben. Augenblicke ungebrochener Euphorie wird man uns dennoch nicht nehmen können und so änderte das Ganze weiterhin nichts an ein einem enorm starken Support des im Europapokal-Weiß gekleideten SC-Anhangs, mithilfe dessen es schließlich gelang, die knappe Niederlage über die Zeit zu bringen.
Nachdem die Mannschaft für einen beherzten Auftritt nochmal abgefeiert und auch die übliche Blocksperre überstanden wurde, durfte wieder in den vor dem Stadion wartenden Bussen Platz genommen werden, wo im Gegensatz zur Hinfahrt aber deutlich schneller die Luft raus war und Vereinzelten bereits die Augen zufielen, bevor man sich wieder auf der Autobahn befand. Im Rückblick auf die erlebten 90 Minuten war man sich auf der Heimreise grundsätzlich einig und mit dem gesamten Tag mehr als zufrieden: Unser Sport-Club Freiburg e.V. hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten mehr als ehrenwert verkauft, von den Rängen wurde das absolute Maximum an Stimmungspotenzial ausgeschöpft und das Hauptziel wurde erreicht, indem man sich eine annehmbare Ausgangslage für ein Weiterkommen im Rückspiel im heimischen Mooswaldstadion geschaffen hatte. Wie inzwischen hinlänglich bekannt ist, sollte in der darauffolgenden Woche nicht das Ticket für die nächste Runde gelöst werden und so endet die diesjährige, unvergessliche Europareise nach dem Achtelfinale. Wir fuhren also tatsächlich über die Alpen, nach Baku ans kaspische Meer, nur (noch) nicht über den Kanal. Auf das sich weitere internationale Abenteuer in der kommenden Saison dazu gesellen.
Grande Friburgo – Juve Merda!