19. April 2022, plus-minus 22:40 Uhr. Der SCF hat soeben den Hamburger SV mit 3:1 bezwungen und die von der rot-weißen Gästekurve skandierte Mutter aller Pokalgesänge „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ ist nicht mehr nur ein positiv gemeinter Ausruf, sondern tatsächlich Realität. Rund einen Monat später wurde besungene Reise dann in die Tat umgesetzt. Einfach zum verrückt werden. Wir fahren wirklich mit dem wundervollen Sport-Club aus Freiburg zum Pokalfinale in die Hauptstadt! Wie eröffnet man denn da vor lauter Wahnsinn diesen Rückblick? Na damit, wie alles seinen Lauf nahm.
Als man an einem lauen Augustabend einem ungefährdeten, aber keineswegs berauschenden 1:0-Erfolg unserer SC-Truppe bei den Würzburger Kickers beiwohnte, war viel mehr Erleichterung über die erfüllte Pflichtaufgabe an der Tagesordnung, als an ein außergewöhnlich gutes Abschneiden im Pokalwettbewerb zu denken. Derartige Gedanken lagen einem in Runde zwei sogar noch einiges ferner, als ein vorzeitiges Ausscheiden im Hexenkessel der Bremer Brücke zu Osnabrück bereits Formen annahm, ehe man sich in den Schlussminuten der Verlängerung noch ins Elfmeterschießen retten und dort einen wahren Pokalkrimi doch für sich entscheiden konnte. Zum ersten Achtelfinale seit vier Jahren ging es anschließend an die Sinsheimer Autobahn, wo überraschend deutlich der Einzug unter die letzten Acht eingetütet werden konnte. Einen Schritt, den in diesem Jahr insbesondere die üblichen potenziellen Titelanwärter, wie Bayern, Dortmund oder Leverkusen nicht gehen konnten und so erwischte man sich doch gerne bei der nicht ganz realitätsfernen Vorstellung nach 2013 mal wieder einen Coup im nationalen Pokal landen zu können. Hierfür musste allerdings zunächst die undankbare Hürde VFL Bochum genommen werden. Quasi mit dem Abpfiff von absolut nervenaufreibenden 120 Minuten fiel das Duell zu Freiburger Gunsten aus – Das Glück des Tüchtigen und so. Letztlich konnte die zweite Halbfinalteilnahme mit dem eingangs erwähnten Triumph in Hamburg erfolgreich gestaltet und der Eintrag in die Geschichtsbücher vermerkt werden.
Etwas mehr als vier Wochen sind seither vergangen. 32 Tage, von denen kaum einer verging, an dem nichts für An-bzw. Abreise, Treffpunkt vor dem Spiel oder die Choreografie oder sonst irgendwas organisiert wurde. 768 Stunden, von denen dem Verstreichen jeder Einzelnen entgegengesehnt wurde. 46.080 Minuten, von denen es gefühlt keine gab, in der man nicht an diesen 21. Mai 2022 gedacht hat. Und dann war es so weit: Vorhang auf, für die Premiere unseres SC Freiburg im Pokalendspiel. Doch so überschwänglich war die Euphorie für mein Empfinden dann doch gar nicht, als sich am Vorabend des Spiels auch unsere Busse in Richtung Berlin in Bewegung setzten. Ob dies vielleicht daran lag, dass im größten Spiel der Vereinsgeschichte gegen die deutsche Werbeausgabe eines internationalen Getränkeimperiums gekickt wurde? Also bitte, wie kämen wir denn da drauf? Es liegt selbstredend auf der Hand, dass halt Barmbek-Uhlenhorst (bei allem Respekt wohlgemerkt) im Normalfall nicht unter die letzten beiden von 64 Teilnehmern kommt und blickt man auf die jüngere Pokalvergangenheit zurück, dann ist es auch nicht allzu überraschend, dass das Spielzeug von Dietrich Mateschitz abermals im Finale vertreten ist. Aber einen Verein als Gegner für jenen historischen Tag wäre schon wünschenswert gewesen. Immerhin hat der unsere bereits vorab klare Kante gezeigt und die Produktion sogenannter Begegnungsschals untersagt – die einzig richtige Entscheidung. Dass diese medial hohe Wellen schlug, ist beim besten Willen immer noch nicht nachvollziehbar, konnte dafür aber nur nochmal jedem klarmachen, dass einer solchen Vermarktungsplattform im Fußball keinerlei Akzeptanz entgegengebracht wird.
Unterdessen hatte es bereits Mitternacht und noch später geschlagen, als sich der Autor dieser Zeilen in der bayerischen Provinz ins Reich der Träume verabschiedete. Tageslicht wurde dann wieder mit doch der ein oder anderen Verspannung in Rücken und Nacken in den frühen Morgenstunden irgendwo in den neuen Bundesländern erblickt. Je näher man der Metropole an der Spree kam, desto mehr machte sich dieses Kribbeln im Körper bemerkbar. Ein Mix an Gefühlen aus Vorfreude, Nervosität und nach wie vor auch immer noch einer gewissen Portion Ungläubigkeit. Schließlich hatte man sich den Weg durchs Stadtgebiet gebahnt und hielt etwa gegen 9:30 Uhr unweit des Olympiastadions. Für meine Wenigkeit, sowie einen Schlag weiterer Jungs und Mädels ging es nun genau dort rein, um die Vorkehrungen für die gestaltete Choreo zu treffen. Pi mal Daumen ein Drittel von knapp 75.000 Plätzen, von denen man sonst nur jene eingenommen hatte, welche bei nicht allzu attraktiven Heimspielen von Hertha BSC für Gästefans rechts vom Marathontor vorgesehen sind, wurden also so präpariert, um den im Osten gelegenen Teil des Stadions zu Spielbeginn in den wunderschönen SC-Farben erstrahlen zu lassen. Entspannt wird sicherlich anders definiert und doch bot sich die Möglichkeit die sich im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf befindende Sportanlage mal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen und diesen von bewegter Historie geprägten olympischen Charakter förmlich einzuatmen. Dass sich hier jedoch der Sport-Club Freiburg in einigen Stunden in die Liste von 14 Clubs, die sich hier seit 1985 zum Sieger des deutschen Vereinspokals gekrönt haben, einreihen könnte, habe ich persönlich auch nach getaner Arbeit noch nicht realisieren können.
Der vorab ausgerufene Treffpunkt am Theodor-Heuss-Platz wurde per Taxen erreicht. Hier hatte sich bereits eine Masse an Sport-Club-Anhängern versammelt, wie man sie vermutlich außerhalb eines Stadions noch nie gesehen hatte. Von einem Zusammenkommen aller Fans auf der Fläche, die nach dem ersten Bundespräsident Deutschlands benannt ist, konnte jedoch nicht wirklich die Rede sein. Dies war der städtischen Polizei zu verdanken, welche mit einer mehr als fragwürdigen Strategie den Bewegungsradius der anwesenden Personen auf eine simple, unmittelbar am deklarierten Treffpunkt verlaufene Verkehrsstraße beschränkte, und hatte auch zur Folge, dass Sektion Choreo-Team nicht weiter als bis zu einer wenige Meter vor beschriebener Polizeikette gelegenen Straßenkreuzung kam. Es blieb also nichts anderes übrig, als über das Vorgehen der Beamten die Köpfe zu schütteln und die Zeit bis zum Abmarsch bestmöglich zu nutzen. So sprang eine Mahlzeit beim Imbiss ums Eck und eine kleine Verschnaufpause, die man sich nach fleißiger Aktivität am Vormittag auch mal gönnen durfte, heraus. Letztere führte beinahe dazu, dass man sich die Strapazen des ganzen Stresses rund um Anfahrt und Aufbau der Choreo in Form eines Nachmittagstiefes anmerken ließ, doch nix da. Ehe man sich versah, ging es wieder zurück gen Olympiapark. Teils herbstliche Wetterverhältnisse hin, sinnfreies Handeln der lokalen Staatsmacht her. Auf den gut zweieinhalb Kilometern Fußweg machte sich unter Abertausenden Freiburgern eine fantastische Atmosphäre und ein beispielloses Maß an Ekstase breit, welches jede und jeden nochmals spüren ließ: Es ist kein Traum, wir stehen wirklich im Endspiel! Und genau dieses wurde schließlich von bereits mehrfach angesprochener Choreografie eingeläutet. Etliche rote und weiße Fahnen zierten die komplette Ostkurve, sowie einen guten Teil der Gegengerade. Eine ebenso präzise, wie gehaltvolle Botschaft rundete das in wochenlanger Arbeit entstandene Gesamtbild ab: Einzigartiger Verein – So wie Du soll Fußball sein!
Somit war alles angerichtet. Von der ersten Minute an eine überragende Stimmung, zu der eigentlich alle anwesenden Zuschauer, dies es mit dem Sport-Club hielten, ihren Teil beitrugen und quasi durchgehend Gänsehaut. Einfach bombastisch und der Funke sprang von den Rängen tatsächlich auf den Rasen über. Die SC-Defensive ließ den Gegner nicht mal in die Nähe einer gefährlichen Torchance kommen und auch wenn im Angriffsdrittel noch keine klaren Aktionen heraussprangen, bot sich plötzlich die Chance für Eggestein, der aus knapp 20 Metern abzog und die Pille im Netz unterbringen konnte. Noch nicht einmal die Hälfte des ersten Durchgangs absolviert und wir führten im Pokalfinale. Auch wenn man sich heute nochmal an diese Bilder zurückerinnert, muss ich mich ab und zu noch kneifen. Letztlich sollte der knappe Vorsprung zur Pausenführung reichen und auch Abschnitt zwei begann vielversprechend. Das zur Absatzförderung von Getränkedosen ins Leben gerufene Fabrikat verbuchte weiterhin wenig bis gar keine Torabschlüsse und spielte nach fast einer Stunde nur noch zu Zehnt, nachdem Höler bei einem Konter per Notbremse zu Fall gebracht wurde. Für den SCF sah es ohne Frage gut aus und vor dem Gehäuse der Ostkurve entwickelte sich nun eine Drangphase auf den Ausbau des Zwischenstandes. Doch das 2:0 wollte nicht fallen und auch, wenn die Führung über weite Strecken absolut sicher schien, wanderten nach und nach die Blicke auf die verbleibenden Minuten. Im Endeffekt aus dem Nichts fing man sich gut eine Viertelstunde vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich nach einem Freistoß, der, man muss es sagen, hätte besser verteidigt werden können/müssen. Ein herber Rückschlag, den auch die in komplett rot gekleidete SC-Elf nicht einfach so wegstecken konnte und mit noch etwas mehr Pech hätte auch die Partie kippen und noch in der Restspielzeit gegen uns entschieden werden können. Wie in den Duellen der zurückliegenden Bundesligasaison fand letztlich auch diese Begegnung zwischen Verein und Konstrukt nach 90 Minuten keinen Sieger und es gab nochmals eine halbe Stunde Nachschlag.
Also tief durchatmen und nochmal alle Kräfte bündeln. Zweifelsohne gelang dies unseren Kickern deutlich besser, als der Gegenseite und die besseren Spielanteile gehörten wieder uns. Ein erneutes Führungstor lag in der Luft, nicht zuletzt aufgrund zwei Aluminiumtreffern sollte dieses allerdings nicht fallen. Die finale Entscheidung musste somit im Elfmeterschießen herbeigeführt werden und ist schnell erzählt. Nachdem der Händler von flüssigem Taurin vier Mal verwandeln konnte und auf Freiburger Seite lediglich Petersen und Keven Schlotterbeck ein Erfolg gegönnt war, musste Demirovic treffen, um die Siegeshoffnung am Leben zu erhalten. Sein Versuch fand den Weg vom Querbalken nicht ins Tor und zerstörte auch die letzten Träume vom ersten Titel der Vereinsgeschichte. Grenzenloser Frust, unendliche Ernüchterung, bittere Tränen kullerten die Wangen herunter. Der Pokaltriumph, den nichts und niemand als unverdient hätte abstempeln können, hätte eine herausragende Saison 2021/2022 vergolden und jeden Beteiligten unsterblich machen können.
Stattdessen streckte nun der österreichische Getränkevertreiber die Trophäe in die Höhe. Genau jener, der bereits 2011 und somit lediglich zwei Jahre nach Gründung als damaliger Regionalligist die Champions League als Ziel ausgab. Ein Global Player, durch dessen Wirken junge Talente nicht vor Ort entwickelt, sondern in weltweit verbreiteten Farm-Teams hochgezüchtet werden. Ein Konzern, der seinem Ableger im Osten Deutschlands in Zeiten der Pandemie ein Darlehen von gut 100 Millionen Euro als Taschengeld erließ. Der Standort Leipzig, an dem die Rückkehr in den Profifußball einzig und allein mit der Absicht der Kapitalisierung einer Marke vorprogrammiert und an dem sportlicher Erfolg nicht erarbeitet, sondern am Reisbrett entworfen wurde. All das kürte sich nun ausgerechnet nach Glück in der Lotterie vom Elfmeterpunkt zum deutschen Pokalsieger 2022 und ließ einen weiteren Teil des Volkssport Nummer eins sterben. Der moderne Fußball, einfach zum Verlieben und eine absolute Bereicherung für einen fairen und nachhaltigen Wettbewerb, danke dafür!
Die Prozession der Siegerehrung, welche man von gleichgültig-distanziert bis maßlos resigniert verfolgte, war abgeschlossen und unsere geknickten Spieler fanden sich vor der nach wie vor gefüllten Ostkurve ein. Und während anlässlich des Sieges der Marketingplattform ein amerikanischer Hip-Hop-Song im Stadion lief, was lediglich einmal mehr unterstreicht, dass diese über keinerlei Identität verfügt, rappelte man sich ein letztes Mal auf und ließ gemeinsam mit dem gesamten Team ein „S – C – F – Super Sport-Club Freiburg!“ in einer Lautstärke verlauten, die gefühlt über alle Grenzen Berlins hinaus zu hören war. Leicht fiel es bei der Gefühlslage nicht nochmals die letzte Energie zusammenzunehmen und doch war es irgendwo erfreulich, dass der Fokus am späten Samstagabend dann doch auf der Unterstützung des Freiburger Anhangs und nicht auf den Kunden des Werbekonstrukts aus Sachsen lag, die sich akustisch weder im Lauf des Spiels noch bei den Feierlichkeiten nach Abpfiff bemerkbar machten. Von einem Trost war in diesem Moment allerdings nicht zu sprechen. Die Köpfe hingen tief, als man vom unteren Teil der Tribüne die Treppen in Richtung Ausgang nach oben stieg. Uns allen war von Vornherein klar, dass es nicht ausgeschlossen war mit der Silbermedaille Vorlieb nehmen zu müssen. Die Endgültigkeit, dass man nun tatsächlich das Olympiastadion als Verlierer verließ, war jedoch unbeschreiblich niederschmetternd. Entsprechend dieser emotionalen Leere ging es auch wortkarg wie selten im Bus zu, als der Weg zurück in den Breisgau angetreten wurde. Gebrochen und über alle Maßen frustriert ließ man sich in den Sitz nieder, ehe einem entkräftet die Augen zufielen.
Sonntagmorgen, kurz vor 8 Uhr, nahe bei Stuttgart. Zähne putzen auf dem Rastplatz war angesagt, nachdem doch um einiges länger als auf dem Hinweg geschlafen wurde. Ich muss an dieser Stelle nichts beschönigen. Die Enttäuschung über den Verlauf des zurückliegenden Abends war noch immer groß und die für eine Rückfahrt, die man sich gänzlich anders vorgestellt hatte, zuhauf besorgten Kaltgetränke liefen nicht ganz so wohlschmeckend die Kehle herunter, wie man es sich gewünscht hatte. Und doch gab es Gründe, die einen im Rückblick auf einen denkwürdigen Tag in Berlin die Flaschen und Gläser auf den Sport-Club Freiburg heben ließen. Dieser hatte nämlich einmal mehr unter Beweis gestellt, was diesen für viele immer noch kleinen, aber in seinem Wesen überaus großen Verein ausmacht. Ein Verein, der aus dem Kulturgut unserer Stadt nicht mehr wegzudenken ist. Der über Jahrzehnte unzählige Menschen innerhalb einer ganzen Region in seinen Bann gezogen hat, auch wenn diesen in der Vergangenheit doch immer wieder einiges abverlangt wurde. Phasen ohne sportliche Erfolge mussten durchgestanden und auch Abstiege ins Unterhaus verdaut werden. Auf der Gegenseite wurden oftmals direkte Wiederaufstiege gefeiert und auch magische Nächte im Europapokal zelebriert. Am Ende des Tages ist es egal ob alt, jung, groß, klein, dick, dünn. Uns alle, die noch so verschieden sein mögen, schweißt diese unbändige Liebe zum SC Freiburg zusammen, die uns Berlin in ein Freiburger Fest verwandeln und einen auf ewig historischen und unvergesslichen Tag erleben ließ. Ja, es wäre so wünschenswert und im Sinne des Fußballs gewesen, wenn die seit Jahren bodenständige und ehrliche Arbeit unseres Herzensclubs, die Präsident Achim Stocker weit vor dem erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga von vor 29 Jahren in Form von bahnbrechenden Maßstäben in den Bereichen Jugendarbeit und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit vorgelebt hat, mit dem Pokalsieg belohnt worden wäre. Doch nicht zuletzt aufgrund dieser Tugenden hat der Verein einen eigenen Weg eingeschlagen und somit sich und allen, die ihm verbunden sind, eine Identität erarbeitet, die mit keinem Geld der Welt erkauft werden kann und einen weitaus höheren Wert als jeglicher Pokal besitzt. 22 Jahre Bundesligazugehörigkeit hat uns dieser Weg seit 1993 beschert. Dass viele weitere dazukommen, bleibt zu hoffen, ist jedoch nicht garantiert. Ob uns dieser Weg nochmals ins Pokalfinale führen wird? Reine Spekulation. Fakt ist jedoch, dass wir, die Fans und Mitglieder, die der Verein sind, diesen Weg weitergehen und die einzigartige Geschichte weiterschreiben werden.
Sport-Club Freiburg e.V. – Der Fuchs, der auf Verstand setzt, statt auf Geld. Für uns immer vorn!