Wenn das runde Leder alljährlich gegen Mitte/Ende Mai zum Ruhen kommt und die ersten Sommerwochenenden fast schon angenehm mit einer fußballfreien Abwechslung daherkommen, wird die Vorfreude auf die neue Spielzeit doch maßgeblich von einer Prozedur beeinflusst, welche sich stets kurz nach Beginn der angebrochenen Sommerpause ereignet: Die Auslosung zur ersten Hauptrunde um den deutschen Vereinspokal. Tage im Voraus die Kenntnis über die quer über die Fußballlandkarte verteilten Verbandspokalsieger auffrischen und schon mal mit einem Los liebäugeln, das einen in eine entlegene Bruchbude von Stadion verschlägt, die man sonst unter den zahlreichen seelenlosen Arenen kaum noch zu Gesicht bekommt. Meine Hoffnungen, den SCF auf eine derartige Reise begleiten zu dürfen, zerschlugen sich jedoch mit dem Öffnen der Loskugeln. Das erste Pflichtspiel der Saison 2023/2024 sollte man als Gast des Titelträgers des südbadischen Landespokals, dem SV Oberachern, bestreiten.
Der Flair dieser besonderen Pokalrunde war dahin und so auch zunächst meine Vorfreude. Denn augenblicklich war klar, dass die Heimstätte der Truppe aus der Ortenau, der Sportplatz am Waldsee, nicht als Ort des Geschehens herhalten kann und folglich neutraler Boden mit entsprechender Infrastruktur gefunden werden musste. Entlang der Oberrheinischen Tiefebene stand hierfür neben dem Rheinstadion zu Kehl und dem renovierten Karlsruher Wildpark auch ein altehrwürdiges Bauwerk in der Schwarzwaldstraße 193 in Freiburg im Raum. Und was soll ich sagen? Die beiden erstgenannten Optionen schieden früh aus dem Rennen aus und das, was man sich still und heimlich irgendwo wünschte, jedoch für ein Ding völliger Unmöglichkeit hielt, sollte wahr werden: Der Sport-Club Freiburg bestreitet noch einmal ein Pflichtspiel im Dreisamstadion. Rappelvoll, ohne Einschränkungen im Sinne der Pandemiebekämpfung, schlichtweg so, wie man diesen besonderen Ort als Kind kennen und über Jahre lieben gelernt hat. Gut, ein Spiel als Gast in der ersten Pokalrunde ist sicher kein Spiel, das mit einem „gewöhnlichen Spiel“ im heiligen Tempel im Freiburger Osten gleichgestellt werden kann. Dafür habe zumindest ich auch einfach mit dem Abschied aus diesem meinen Frieden geschlossen und doch wäre die Behauptung, dass es im Vorfeld dieses 13. August 2023 gleichermaßen, wie vor einem Kick in der Nähe des Mooswaldes im Körper kribbeln würde, eine Lüge.
Und dann war es so weit. Der Tag, an dem auf dem abschüssigen, zu kurz geratenen Rasen die Kicker mit dem Greif auf der Brust eine Pflichtaufgabe zu erfüllen hatten und auf den Rängen neben der akustischen Unterstützung auch das Schwelgen in Nostalgie im Vordergrund stand. Für uns als Gruppe sollte der Spieltag, wie so viele, die man im Dreisamstadion erleben durfte, mit einem Treffpunkt im Fanprojekt beginnen. Die gekühlten Gerstensäfte flossen die Kehle herunter, die übliche Fachsimpelei über dies und jenes kam ins Rollen und es fühlte sich doch alles stark vertraut an, fast so als wäre der Sport-Club nie ans andere Stadtende gezogen. An sich aber auch nicht verwunderlich. Sicher fanden mit dem Standortwechsel in den C-Block der Südtribüne einige neue Nasen den Weg in unsere Gruppe und zugleich blickte man doch in eine Vielzahl von Gesichtern, die dem Austragungsort der bevorstehenden Pokalpartie in den zurückliegenden Spielzeiten einen derart hohen emotionalen Stellenwert über die Liebe zum Verein hinaus verliehen. Schließlich war die Zeit gekommen, um auch die letzten Meter in Richtung der beschriebenen Sportanlage per Fußmarsch hinter sich zu bringen. Die Flutlichtmasten, die auf einen damals in den Kinderschuhen wie heute irgendwie faszinierend wirkten, waren wie eh und je im Vordergrund der umliegenden Tannenwälder schon von Weitem zu erkennen. Dazu im Hintergrund das Plätschern der am Fußweg verlaufenden, stadteinwärts fließenden Dreisam. Ja, was jahrelang reinste Normalität war, lernte man in diesen Augenblicken nochmals wirklich zu schätzen. Wenig später war auch der Eingang zur Nordtribüne passiert und beim Blick in das über Epochen an die Entwicklung des Sport-Club Freiburg e.V. nach und nach angepasste, 24.500 Plätze fassende Stadion musste ich mich doch einmal kurz kneifen. Aber nein, es war kein Traum. An der Seite der Jungs und Mädels stand ich wirklich an dem Platz auf Nord-Mitte, wo ich etliche Stunden meiner Jugend verbracht habe und doch einfach nie wirklich erwachsen geworden bin.
Aber zurück ins Hier und Jetzt: Siegessicher, dass sich der SC gegen den Vorjahressechsten der Oberliga Baden-Württemberg keine Blöße geben würde, rätselte man noch, ob eine eher ausgeglichenere Angelegenheit die Nordtribüne bei starker Hitze mehr zum Freidrehen bewegen würde, als wenn noch vor dem Pausentee alle gelaufen sein sollte. Zunächst war das jedoch erstmal egal. Nach einem ansehnlichen Fahnenmeer auf der gesamten Tribüne, das noch mit etwas Rauch untermalt wurde, waren alle Anwesenden auf Betriebstemperatur und die ersten Gesänge überzeugten mit wirklich hoher Stimmgewalt, dass es einen gefühlsmäßig an die Tage zurückversetzte, an denen auf den Rängen manches Spiel entschieden wurde. Doch leider sollte das Stimmungsniveau danach nur noch selten an die Lautstärke aus der Anfangsphase anknüpfen. Klar, jetzt kann natürlich der Vergleich zu Zeiten gezogen werden, in denen die supportbegeisterte SC-Fanlandschaft noch einiges kleiner war und ein Auftritt wie an diesem Pokalnachmittag undenkbar gewesen wäre. Für einen Kick, der von vornherein derart emotional ist, wie vermutlich kein Zweiter es je sein wird, hätte ich allerdings für meinen Teil doch etwas mehr erwartet. Ähnliches ließ sich auch für die ersten 45 Minuten auf dem Grün festhalten. Bei allem Respekt für eine zu würdigende Leistung des SV Oberachern, der im Rahmen seiner Möglichkeiten alles reinwarf, so waren doch die in Bestbesetzung aufgestellten Herren des Sport-Clubs nicht in der Lage sich ein erkennbares Übergewicht zu erspielen und konnten phasenweise zugleich von Glück sprechen, dass man keinem Rückstand hinterherlaufen musste. Erst einer druckvolleren Offensivdarbietung und den schwindenden Kräften auf Seiten des Fünftligisten sorgten in Abschnitt zwei für Einbahnstraßenfußball, in welchem die Treffer von Günter und Sallai das verdiente, aber glanzlose Weiterkommen besiegelten.
Aus sportlicher Hinsicht war damit die Messe gelesen und so blieb in den Schlussminuten doch nochmal Zeit für Melancholie und Gänsehaut. Ein wirklich emotionales „SC Freiburg – Für uns immer vorn“ schallte von der Nordtribüne in Richtung Ost-, Süd- und Haupttribüne und rundete den Tag quasi ab, wenn da nicht der Kasper von Stadionsprecher gewesen wäre, der mit dem Anstimmen einer Laola-Welle diese besondere Atmosphäre in eine Zirkus-Veranstaltung verwandelte. Dass sich der Aufenthalt im Stadion zu 100 % wie zu früheren Zeiten anfühlen würde, hatte wohl niemand erwartet, auf einen solchen Quatsch hätte man aber doch wirklich gerne verzichtet. So sehr man diesem vielleicht letzten, richtigen Spielbesuch im Dreisamstadion entgegengefiebert hatte, so schnelle war er dann kurz darauf auch wieder vorbei. Völlig durchgeschwitzt und doch etwas erschöpft ließ man sich auf die Treppenstufen nieder und musste dies irgendwie erst einmal sacken lassen. Der Tag, an dem man tatsächlich nochmals den geliebten SC Freiburg im ausverkauften Dreisamstadion bestaunen durfte, war nicht nur wegen dem Clown am Stadionmikrofon sicher nicht so, wie man sich solch einen Tag ausgemalt hatte und doch wird man sich an diesen sicher noch lange erinnern.
Es war vielleicht nicht die entlegenste Bruchbude von Stadion, die man sich in der ersten Pokalrunde gerne als Abwechslung zu den sonst weit verbreiteten hochmodernen Fußballkomplexen gewünscht hätte, dafür aber sicher ein Fußballplatz, wo auch abseits des Rasens viel Geschichte geschrieben wurde und Erinnerungen für die Ewigkeit schlummern. Danke für alles, du einzigartiger Tempel in der Schwarzwaldstraße 193 unserer wunderschönen Stadt.
Daten & Fakten
Begegnung: SV Oberachern e.V. – Sport-Club Freiburg e.V. 0:2 (0:0)
Wettbewerb: Deutscher Vereinspokal – 1. Hauptrunde
Wann & Wo: Sonntag, 13. August 2023, Dreisamstadion Freiburg.
‘Zuschauerzahl: Ausverkauftes Haus, davon um die 80% SC-Fans
Den Greif auf der Brust trugen: Atubolu – Sildillia, Ginter, Lienhart – Doan (82. Kübler), Röhl (55. Höfler), Eggestein (82. Keitel), Sallai (82. Breunig) – Höler, Gregoritsch (55. Günter), Grifo
Tore: 0:1 Günter (60.), 0:2 Sallai (77.)