England, das Mutterland unseres geliebten Volkssports. Wo die unmittelbar an den Seitenlinien hochgezogenen Ränge noch von Flutlichtmasten überragt werden, der feine Kleidungsstil auf der Tribüne an der Tagesordnung ist und auch Pöbeleien sowie hier und da Handgemenge nicht zu kurz kommen. Wird auf der größten Insel Europas gegen das runde Leder getreten, kommt vom modeaffinen Stadiongänger bis zum Fußballnostalgiker jeder auf seine Kosten. Gut setzt man die rosarote Brille ab, dann muss man einräumen, dass dem natürlich nicht so ist. Im englischen Profifußball sucht man Vereine vergeblich, die nicht superreichen Privatunternehmern, global vernetzten Investmentgroups oder teils sogar dem Staatsfond eines autokratischen Regimes als Spekulationsobjekt zum Opfer gefallen sind. Puh, bevor hier gar niemand mehr Lust hat, die nachfolgenden Zeilen zu lesen, ziehe ich es doch lieber vor, nicht weiter in die Untiefen der zwielichtigen Machenschaften der Premier League abzutauchen und stattdessen auf das Wesentliche dieses Textes zu blicken: Das erste Pflichtspiel unseres Sport-Clubs auf englischem Boden! 

 

Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte dieses gerne auch schon in der vergangenen Saison mit einem Europa League-Achtelfinale gegen Manchester United über die Bühne gehen dürfen und auch der FC Liverpool wäre als diesjähriger Kontrahent in der Gruppenphase sicher kein Gegner gewesen, den man mal so eben eingetauscht hätte. Letztlich musste mit West Ham United aus dem Nordosten Londons vorliebgenommen werden. Für die Geschmäcker womöglich einiger SC-Fans nicht unbedingt die erste Wahl beim Blick auf die potenziell möglich gewesenen Reiseziele aus Lostopf eins, doch in einer Gruppe mit Olympiakos Piräus und dem FK TSC Bačka Topola zweifelsfrei die größte Nummer. Dies stellte sich einmal mehr unter Beweis, als ein Großteil der Schlachtenbummler aus unseren Reihen für die günstigste Ryan Air-Maschine ab Baden-Baden anstatt eines Flugtickets lediglich eine Stornierungsbestätigung am Morgen nach der Auslosung erhielt. Dafür sollte schließlich mit einer nicht ganz so preiswerten, aber immer noch fairen Verbindung ab Frankfurt die Reise in die Hauptstadt Großbritanniens am Mittwochvormittag angetreten werden. In London-Heathrow gelandet, ging es weiter in Richtung Stadtkern, wo man sich das erste Dosenbier unmittelbar vor dem Big Ben schmecken lassen durfte. Dieses mundete offenbar mancher Nase so gut, dass eine mögliche Erkundungstour doch gleich dem Aufenthalt im Pub weichen musste. Wie in Griechenland und Serbien gehörte meine Wenigkeit hingegen auch beim letzten internationalen Trip in 2023 klar jener Fraktion an, für welche das Innenleben von Kneipen während des Aufenthalts in der fremden Stadt nicht die oberste Priorität einnahm und so wurde bis zum Einchecken in der Unterkunft noch ein kleines Kultur-Programm im Schnelldurchlauf gestartet. Am Nachmittag kam dann allerdings doch verstärkt der Hopfendurst auf und der sich wenige Meter vom Schlafplatz entfernt befindliche Pub gelegen. In landestypischer Manier wurde sich hier mit einigen Gesichtern aus der Fanszene für den bevorstehenden Abend eingestimmt, welcher erfreulicherweise und im Mutterland des Fußballs quasi folgerichtig einen Kick zu bieten haben musste. Das Zweitligaduell zwischen den Queens Park Rangers und Plymouth Argyle bot sich ideal an, um wenigstens etwas authentische englische Stadionatmosphäre mitzunehmen. Neben einem erwähnenswert zahlreich vertretenen Gästeanhang sahen letztlich also auch nicht wenige, die es mit den Farben des Sport-Clubs halten, einen 0:0-Abnutzungskampf an der Loftus Road. Sportlich mal so gar nichts, was man gesehen haben muss, dafür aber ein für meinen Geschmack baulich sehr schicker Fußballtempel. Zudem wird einem das „Shoooooot“-Geraune auf der Tribüne, sobald das Spielgerät gefühlt auch nur die Mittellinie überquert hatte, sicher noch mit einem Schmunzeln im Gedächtnis bleiben und an der Eindeutigkeit des Platzverweises für die Auswärtstruppe Mitte der ersten Halbzeit bestehen bis heute keinerlei Zweifel. Die weiteren Abendstunden ließ man dann dort, wo es möglich war und die Bars noch Alkoholhaltiges ausschenkten, ausklingen, ehe mit etwas Schlaf Kraft für einen weiteren besonderen Europapokaltag mit dem magischen SC Freiburg getankt wurde.

Für diejenigen, die wollten, startete der Spieltag nochmals mit etwas Kultur. Ein Mitglied der Gruppe hatte einen auf über 250 Meter Höhe gelegenen Aussichtspunkt mitten in der City of London ausfindig gemacht und hierfür obendrein kostenfreie Gruppentickets organisiert. Mit einer beeindruckenden Aussicht über die ganze Stadt definitiv nicht der schlechteste Zeitvertreib, wenn man bedenkt, dass die größte Stadt Englands ansonsten nicht gerade billig ist. Ein Dank gilt an dieser Stelle nochmals dem Organisator! Wieder den Asphalt unter den Füßen, wurde noch schnell ein nahegelegener Pub, dessen zugehörige Mehrbettzimmer in der oberen Etage auch vereinzelten Gruppenleuten als Herberge dienten, als Treffpunkt vor dem Treffpunkt auserkoren. Bis man sich dort also wieder einfand, blieb nochmals Zeit, um die ein oder andere Sehenswürdigkeit abzuklappern oder sich aufgrund mangels Alternativen (die englische Küche ist schlicht ungenießbar) wieder einmal mit dem nächstbesten fettigen Fraß vollzustopfen. Schließlich hatte man sich wieder mit voller Kapelle versammelt und im Linienbus Platz genommen, welcher uns gen Victoria Park, genauer gesagt zur „The People’s Park Tavern“ beförderte. Wenn auch es noch gar nicht 15 Uhr Ortszeit geschlagen hatte, hatte sich hier bereits eine erstaunliche Anzahl an Sport-Club Anhängern eingefunden und das Lokal im Verlauf der weiteren Stunden sicherlich einen neuen Umsatzrekord aufgestellt. Lecker Bierchen oder wahlweise auch Cider und muntere Atmosphäre. Doch wie das dann manchmal eben ist, wurde es hier und da mit der Zeit dann vielleicht doch zu ausgelassen. Im Inneren der Kneipe fand nur noch ein einziges Gedränge statt, der Alkoholkonsum hinterließ stellenweise seine Spuren und der gemeinsame Marsch ans Stadion kam wirklich zur richtigen Zeit. Hatte ich persönlich anfänglich noch etwas Bedenken, ob sich denn der Spieltagsmotor nach dem Heben der Flaschen und Gläser wieder so einfach starten lassen würde, so waren diese doch umgehend wieder verflogen. Von Beginn an knallten die Gesänge mit einer mehr als stabilen Lautstärke durch die Parkanlage und die Gassen, durch die die anwesenden Freiburgerinnen und Freiburger zogen. An einer Verkehrsinsel hatte ich einmal die Gelegenheit leicht erhöht aus den ersten Reihen auf den Rest der Menge an weiß-roten Mitgereisten zu blicken und mit einem nicht erkennbaren Ende der Menschenmasse kamen sofort Erinnerungen und die Gänsehaut vom Finaltag in Berlin zurück. Spätestens jetzt war alles angerichtet, um auch den dritten Ausflug in der Gruppenphase siegreich zu gestalten.

Doch am Stadion (wobei eigentlich Arena der korrekte Ausdruck sein müsste) angekommen, musste ich mich erst einmal wieder selbst bremsen. Im Amt des Gruppenbeauftragten für Auswärtstickets verweilte ich zunächst vor den Sicherheitskontrollen, um unter Umständen aushelfen zu können, falls es nicht gelingen sollte, die nicht der Stadionordnung entsprechende Zaunfahne am Ordner-Personal vorbeizuschmuggeln. Schon bald erreichte mich jedoch die erfreuliche Nachricht der Jungs und Mädels, dass alles reibungslos verlaufen ist, woraufhin auch ich die Stadiontore vom Vorplatz aus anvisierte. Nur war auf Letzterem mittlerweile kaum noch ein Durchkommen, da ich ja nun quasi die komplette Karawane an SC-Fans vor mir hatte. Die Einlasssituation beanspruchte den Geduldsfaden und der Spielbeginn rückte in großen Schritten näher. Etwa 15 Minuten vor diesem betrat ich schließlich das Innere des Gästeblocks. Doch beim Anblick dessen, was sich zu dieser Zeit rund um die grüne Wiese herum ereignete, hätte ich es doch verkraften können, wenn ich erst mit Anpfiff meinen Platz eingenommen hätte. Wer davon ausging in der Heimstätte von Juventus Turin die Spitze des Eisbergs an schwachsinnigem „Unterhaltungsprogramm“ vor dem Einlaufen der Mannschaften erlebt zu haben, der wurde eines Besseren belehrt. Ein DJ verwandelte die Angelegenheit in einen Club, während entlang der Seitenauslinien Feuerelemente hochgeschossen wurden und sich jede Menge Seifenblasen in der Luft verteilten. In meinen Augen schlichtweg zum Fremdschämen, aber wenn schon die Identität des einstigen Arbeitervereins West Ham United dem Erdboden gleich gemacht wurde und die Partien in einer Arena ohne jeglichen Identifikationsfaktor ausgetragen werden, dann wird wohl kaum von selbst Stimmung aufkommen. Zudem muss der unkritischen und brav zahlenden Kundschaft auf den Rängen ja auch etwas für ihr Geld geboten werden.

Naja, genug von den Begleiterscheinungen, die sich im Vorfeld von Heimauftritten der Hammers abspielen. Wie 90 Minuten Fußball umrahmt werden können/sollten, machten mit Spielbeginn gute 3.500 Stimmen aus dem Breisgau deutlich. Zwar vermisste man eine Trommel doch schmerzlich, wodurch es für mich so wirkte als würden nur die wenigsten Gesänge mit wirklich brachialer Lautstärke gen Spielfeld schallen, doch dank eines in den Block gedribbelten Megafons konnte der Support gut koordiniert werden. So gelang es auch die Personen aus dem abgelegenen Oberrang des Gästebereichs zu einer starken Mitmachquote zu motivieren und das Ding abseits des Platzes klar auf die Freiburger Seite zu ziehen. Auf dem Rasen schlug das Pendel jedoch früh in Richtung der Gastgeber aus. Noch in der Anfangsviertelstunde musste der Sport-Club den Rückstand hinnehmen und als der Conference League Sieger von 2023 kurz vor dem Pausentee auf 2:0 erhöhte, musste man sich endgültig von dem Gedanken verabschieden, mit einem Sieg doch noch den Gruppensieg einfahren zu können. Zu Beginn des zweiten Durchgangs ließen wir es uns mit der auf T-Shirts abgebildeten Botschaft „Fuck Tifo Ban“ nicht nehmen, die Haltung gegenüber der Beschränkung bzw. dem Verbot von Fanutensilien zu verdeutlichen. Unsere Kicker warfen derweil im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles in die Waagschale, um nach dem Seitenwechsel nochmal ranzukommen – letztlich vergeblich. Das direkte Ticket ins Achtelfinale lösten die Jungs von West Ham, die beim Schlendern durch das Rund nach Abpfiff nur noch auf eine überschaubare Anzahl an heimischen Anhängern blicken durften. Denn während der Gästesektor trotz der sich abzeichnenden Niederlage weiterhin den SCF nach vorne peitschte, leerten sich die Ränge der Heimblöcke schon in den Schlussminuten der Partie. Vielleicht hatten die Flachzangen einfach eingesehen, dass ihr peinliches Gepöbel uns gegenüber und das vereinzelte Brüllen von kurzen Schlachtrufen nicht im Ansatz der Vorstellung des Gästeblocks gewachsen war. In diesem sprach man der doch etwas geknickten Mannschaft nach Spielende noch ein paar motivierende Worte zu und gab zum Abschluss ein „Last Christmas“ zum Besten. Vom Stadion aus steuerten daraufhin weite Teile der Fanszene die nächste Overground-Station an, da doch die meisten eine Bleibe am anderen Ende der Stadt gewählt hatten. Dabei soll auch Erwähnung finden, dass der gesamte Fußmarsch ohne die Begleitung eines einzigen Polizisten vonstattenging. Was in der Law & Order Bullenrepublik Deutschland undenkbar wäre, erschien auf der Insel als völlig normal und generell muss man sagen, dass die Staatsmacht einen weitaus respektvolleren Umgang mit Fußballfans pflegte, als man das von Bundesligaspielen gewohnt war.

Gute eineinhalb Stunden hatte es tatsächlich gedauert, bis man London durchquert und sich wieder in der Nähe der Unterkunft eingefunden hatte. Mitternacht war bereits vorbei und so blieb der Genuss von Gehopftem im Pub nur jenen vorbehalten, die diesen in der Herberge inkludiert hatten. Am Ende eines langen Tages spielte dies jedoch für den Autor dieser Zeilen nur eine untergeordnete Rolle. Da es für mich erst am Samstag auf die Heimreise ging, stand für den weiteren Verbleib an der Themse noch ein bisschen was auf der Agenda und so zog ich es vor, mich nach einem Abstecher ins gegenüberliegende Fast Food Restaurant doch aufs Ohr zu hauen. Der Freitag war dann von unterschiedlichen Einzelunternehmungen geprägt. Von Rückflügen in den Morgenstunden, die durch die Folgen des ausgiebigen Vernichtens mancher Pints in der Nacht zuvor beinahe verpasst wurden, über Sightseeing bis hin zum Groundhoppen machte noch jeder so seine Erfahrungen in der englischen Hauptstadt. Eine Kleingruppe aus unseren Reihen war abends sogar bei der Eröffnungssession der Dartsweltmeisterschaft im berühmtberüchtigten Alexandra Palace vor Ort. Wie wir uns aus erster Hand hinterher sagen ließen, ging es dort wohl mit einem Haufen weiterer Freiburger und köstlich schmeckendem Bier äußerst brachial zu. Am Samstag hatte dann ein wieder einmal denkwürdiger Trip auch für die letzten Reiselustigen ein Ende und nachdem es nun zum ersten Mal in eine Weltmetropole mit dem geliebten Sport-Club Freiburg ging, kann man die Worte des Produzenten-Teams des DWIDSwoch Podcasts nur bestätigen: Europapokal ist wie Klassenfahrt für Erwachsene. Na, ein Glück, dass unser Herzensclub in der Rückrunde eine Ehrenrunde dreht und zum Nachsitzen in der Zwischenrunde der Europa League antreten wird!

Daten & Fakten:

Begegnung: West Ham United – Sport-Club Freiburg e.V. 2:0 (2:0)
Wettbewerb: Europa League – Gruppenphase, 6. Spieltag
Wann und Wo: Donnerstag, 14. Dezember 2023, London Stadium, London
Zuschauerzahl: 48.876, davon etwa 3.500 SC-Fans
Den Greif auf der Brust trugen: Atubolu – Sildillia, Ginter, Gulde, Makengo (74. Kübler) – Doan, Eggestein (57. Höler), Höfler, Grifo (69. Weißhaupt) – Sallai (45. Röhl), Gregoritsch (57. Adamu)
Tore: 1:0 Kudus (14.), 2:0 Álvarez (42.)